Im Interview mit der DHZ
„Müssen gemeinsam schauen, dieses für uns alle wichtige Projekt in diesem Jahr abzuschließen“
01. February 2023
Es geht um viel in Frankfurt. Nicht nur sportlich bei der Endrunde um die 61. Deutsche Hallenmeisterschaft, sondern für den Deutschen Hockey-Bund bei einem außerordentlichen Bundestag um die Verbesserung seiner finanziellen Situation. Eine Umlage und eine Beitragserhöhung sollen helfen, vor allem die Restfinanzierung (Phase III) des „DHB Digital“-Projekts abzusichern. DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer hat sich dazu mit Niclas Thiel (33), dem kaufmännischen Vorstand des DHB, und Christian Richter (48), Chef der mit der Umsetzung des Projekts beauftragten Firma Computer Rock, unterhalten. Beide kennen den Hockeysport auch von innen bestens, haben mehrere Jahre Bundesliga gespielt.
Beim am Samstag anstehenden außerordentlichen Bundestag steht die weitere Finanzierung der Projekte „DHB Digital“ und Bildung zur Abstimmung. Worum genau geht es dabei?
THIEL: Mit dem „DHB Digital“-Projekt ist der Neubau des deutschen Hockeyspielsystems gemeint. Hier bestand aufgrund der veralteten Technologie und der „Kopfmonopole“ ein dringender Handlungsbedarf, auf eine neue und zeitgemäße Technologie umstellen zu müssen. Wichtig ist mir, dass es hierbei um mehr geht als nur eine Webseite, es betrifft das ganze Spielsystem, also Passwesen, Elektronischer Spielberichtsbogen und vieles mehr. Und beim Thema Bildung haben wir erkannt, dass die Trainersituation in Bezug auf die Anzahl und die Qualität der Trainerinnen und Trainer in Deutschland nicht ausreichend ist. Im Wesentlichen geht es hierbei um die Ausweitung und Professionalisierung des Angebots inklusive neuer digitaler Lehrinhalte, wie zum Beispiel die E-Learning-Tools. Ergänzen möchte ich noch, dass die Finanzierung des „DHB Digital“-Projekts Gegenstand der Sonderumlage ist. Die Bildung hingegen ist nur ein Baustein von vielen Punkten, der sich in der Beitragserhöhung wiederfindet. Aus unserer Sicht jedoch ein besonders wichtiger. Es wird also streng genommen nicht über das Projekt Bildung abgestimmt, sondern um eine Erhö-hung der Beiträge nach zwölf Jahren.
Warum ist dazu ein außerordentlicher Bundestag nötig, anstatt die Dinge beim 56. Ordentlichen Bundestag am 6. Mai in Berlin zu behandeln?
THIEL: Durch das Vorziehen einer Entscheidung über eine Umlage und Beitragserhöhung vom Bundestag im Mai 2023 auf den Februar 2023 haben wir die notwendige Zeit für die Planung und Steuerung des Jahres 2023. Das betrifft uns, aber eben auch die Vereine, die eine frühestmögliche Information benötigen. Es ist also auch für die Clubs vorteilhaft, wenn sie bereits im Februar wissen, ob es eine Umlage und eine Beitragserhöhung gibt. Und für uns als Verband ist es wichtig, entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten zu können, falls einer oder beide Anträge nicht durchgehen sollten.
Es gab am 18. Januar eine digitale Informationsveranstaltung. Worum ging es an diesem Abend?
THIEL: Die Informationsveranstaltung sollte als Plattform dienen, um transparent über unsere Vorhaben im Bereich Digital-Projekt und Bildung zu informieren. Deswegen haben wir auch die inhaltlich verantwortlichen Personen seitens Computer Rock (Christian Richter) und dem Bildungsbereich (Stephan Haumann) dazugenommen.
Wie zufrieden waren Sie mit dem Abend, an dem rund 90 Interessierte via Videokonferenz teilgenommen haben? Hatten Sie das Gefühl, die Bedenken der Basis gegen die Notwendigkeiten der zum außerordentlichen Bundestag vorliegenden Anträge überwiegend auflösen zu können?
RICHTER: Es war toll, dass so viele Leute teilgenommen haben. Das Projekt selbst kommt positiv an – es gab einige inhaltliche Nachfragen, die wir direkt klären konnten. Wir versuchen seit Beginn maximal transparent zu sein und nehmen jede Anregung sehr gerne an – das System wird für die Nutzer gebaut!
THIEL: Uns war klar, dass ein hohes Informationsbedürfnis bei den Vereinen bestand, sodass es unser primäres Ziel war, einen transparenten Einblick in das „DHB Digital“-Projekt und den Bildungsbereich zu geben. Von der inhaltlichen Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Digital-Projekts konnten wir sicherlich alle überzeugen. Bisher sind unsere Informationsveranstaltungen zum Digital-Projekt auf inhaltlicher Ebene immer als positiv wahrgenommen worden. Deswegen bin ich sicher, dass wir auch alle Fragen beantworten konnten. Auch unser Bildungsbereich hat die neuen Ideen und Ansätze überzeugend vorgestellt. Wichtig ist mir in dem Zusammenhang nur, dass die geplante Beitragserhöhung nicht ausschließlich auf den Bildungsbereich zurückzuführen ist. Natürlich spielen die allgemeinen Kostensteigerungen der letzten Jahre, erweiterte Anforderungen an den DHB und die gestiegenen Verwaltungsaufwendungen eine ebenso entscheidende Rolle. Die letzte Entscheidung bezüglich einer Beitragserhöhung beim DHB wurde im Jahr 2011 getroffen, sodass eine Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt ein unausweichlicher Schritt ist. Der lange Zeitraum ohne Beitragserhöhung sollte aber auch klarmachen, dass wir möglichst lange versucht haben, die gestiegenen Kosten und erhöhten externen Anforderungen aus eigenen Mitteln zu bedienen. Dieser Spielraum besteht nun beim DHB nicht mehr.
Was ist der Mehrwert des DHB-Digital-Projekts für die Vereine und die Anwenderinnen und Anwender?
RICHTER: Die bisherigen Prozesse in der Datenverwaltung sind sehr langwierig. Ein Paradebeispiel für mich ist die Bearbeitung eines Fotos zur Erstellung eines Spielerpasses. Das ist in moderner Technik heutzutage viel einfacher möglich. Teammanager, Clubmanager oder Ligenmanager sind zum größten Teil Ehrenamtler und opfern viel Freizeit für die verschiedens-ten Verwaltungsarbeiten. Da wollen wir mithelfen, dass sie ein System zur Verfügung haben, das durch schlanke neue Prozesse und Funktionen eine Erleichterung und Zeitersparnis zum bisherigen System gewährleistet. Inhaltlich hat die bisherige „grüne Seite“ sehr viel Gutes zu bieten. Wir setzen dies nun auf eine moderne technische Ebene um und können so bei der neuen Architektur des Systems strukturell gleich noch ein paar weitere Dinge implementieren, die man bisher vermisst hat. Beispielsweise den Elektronischen Spielberichtsbogen für die Jugend, also für alle Ligen sowie Torschützenlisten für jede Liga und anderes mehr. Und auch in punkto Verfügbarkeit, Datensicherheit und Datenschutz haben sich die Anforderungen in den letzten Jahren weiterentwickelt. Das alles wird im neuen System umgesetzt.
Was sind denn eigentlich so die größten Vorbehalte, die Sie bisher gehört haben, seit der DHB den außerordentlichen Bundestag mit den beiden Anträgen einberufen hat?
THIEL: Grundsätzlich fehlte es unseres Erachtens an dem grundlegenden Verständnis zu den Inhalten und der Notwendigkeit des Digital-Projekts. Inzwischen gehen wir aber davon aus, dass dies nicht mehr der Fall ist. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Themen, die regelmäßig an uns herangetragen werden: erstens die grundsätzliche Finanzierung des „DHB Digital“-Projekts und zweitens der Zeitpunkt des außerordentli-chen Bundestags sowie die Antragstellung mit Auswirkungen für das laufende Geschäftsjahr 2023.
Hat denn der DHB die Dimension des Digital-Projekts, vor allem in finanziellen Aspekten, von Anfang an unterschätzt? Als vor rund einem Jahrzehnt das erste Mal von der Notwendigkeit eines „Internet-Relaunchs“ gesprochen wurde, war von einem Bruchteil der Summen die Rede, um die es heute geht.
THIEL: Die Notwendigkeit und Idee für dieses Projekt wurde schon früh erkannt, allerdings nie zum Abschluss gebracht. In der Vergangenheit hat es zwei Versuche gegeben, die gescheitert sind und lediglich auf das Frontend, sprich die Websites, abzielten, Stichwort „blaue Seite“. Es geht jedoch um viel mehr als um den neuen „Anstrich“ einer Website, sondern um das komplette Organisationstool unseres Spielsystems im Hockey. Die Komplexität des Projekts ist daher nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt, dass die Anforderungen von vor zehn Jahren mit den heutigen technischen Anforderungen nicht mehr vergleichbar sind. Ein Beispiel ist die nötige Verfügbarkeit des elektronischen Spielberichtsbogens über eine mobile Smartphone-Anwendung.
RICHTER: Ich denke, dass man meistens übersieht, wie mächtig das aktuelle System ist, es hat sich jedoch über 15 Jahre hinweg Stück für Stück fortentwickelt. Damit man Daten und Informationen aus dem Spielbetrieb, verknüpft mit redaktionellen Inhalten, modern und vor allem mobil darstellen kann, benötigt man ein neues System. Es hat nie gereicht, die Fas-sade neu anzumalen, um ein modernes System neu zu etablieren. Die früheren Ansätze des DHB zu dieser Frage waren nicht ganzheitlich gedacht und deshalb damalige Budgetgrößen für solch ein Projekt zu niedrig angesetzt. Für eine funktionieren-de neue Webseite ist ein ganzheitlicher neuer Ansatz unumgänglich.
Es scheint in der deutschen Hockey-Landschaft viele zu geben, die mit der „grünen Seite“ im Prinzip gut leben konnten, solange dieses System ohne die im vergangenen Jahr spürbar zunehmenden Ruckler und Abstürze lief. Können Sie den Leuten, die hauptsächlich Anwender und keine IT-Experten sind, einmal zusammenfassend erklären, wieso ein so kompletter Neuanfang unumgänglich ist?
THIEL: Die alte „grüne Seite“ ist funktional. Sie macht, was sie soll, nicht mehr und nicht weniger. Das Problem ist aber, dass das System total veraltet ist und lediglich von einer Person ehrenamtlich betreut und vollständig verstanden wurde. Die Technologie ist so veraltet, dass es überhaupt kein Personal mehr am Markt gibt, die diese Technologie versteht und bedienen kann. Eine neue Lösung hierfür zu finden, war daher alternativlos…
RICHTER: …hinzu kommt, dass die externen Anforderungen von außen gestiegen sind, hinsichtlich Mobil-Anwendung, Datenschutz und -sicherheit. Und man kann durch die neuen Technologien einfach auch Effizienzen heben.
Sind denn die Kosten von über einer Million Euro zum größten Teil unumgängliche Personalkosten? Oder schafft sich der DHB mit dem Digital-Projekt einen Rolls-Royce an, wo es auch ein guter Mittelklassewagen täte?
THIEL: Der Auftrag wurde Anfang des Jahres 2021 nach Art und Umfang über einen öffentlichen Wettbewerb ausgeschrieben. Inhaltlich und finanziell hat sich Computer Rock gegen sieben Wettbewerber durchgesetzt. Das Projekt ist mehr oder weniger 1:1 der Neubau des aktuellen Systems ohne „Sonderlocken“, aber auf einer modernen und weiterentwickelbaren IT-Architektur. Um es in Ihren Worten zu sagen: Wir ersetzen ein Auto der Marke „Eigenbau“ durch ein Auto nach Industriestandard inklusive Wartungsservice. Es ist bei der Informationsveranstaltung am 18. Januar auch klar geworden, dass es sich beim Engagement von Computer Rock nicht um rein kommerzielle Interessen handelt. Für die Komplexität des Projekts war das ein mehr als faires Angebot und hat auch deshalb den Zuschlag erhalten.
RICHTER: Man muss zunächst mal den Hut vor Ben Glubrecht ziehen. Wieviel Zeit er in dieses bisherige System und dessen stetige Entwicklung gesteckt hat, kann man wohl kaum ermessen, bestimmt Jahrzehnte. Es war gut, aber es ist alt und passt technisch an vielen bereits genannten Stellen nicht mehr. Mir war immer klar, dass der DHB solch einen Auftrag praktisch unmöglich an eine Firma geben kann, die Hockey nicht versteht. Unser Sport ist mit all seinen Besonderheiten schon sehr speziell, beispielsweise hantieren wir bundesweit mit 189 unterschiedlichen Spielklassensystemen. Zusammenaddiert haben wir bereits über zehn Personenjahre in die Neuumsetzung gesteckt.
Was sind denn eigentlich die „ansonsten notwendigen drastischen Gegenmaßnahmen“, von denen in der Einladung zum Bundestag die Rede war? Was würde tatsächlich passieren, wenn die vorliegenden Anträge die nötige Mehrheit verfehlen sollten?
THIEL: In Bezug auf die Umlage würde das den sofortigen Stopp des Digital-Projekts bedeuten mit dem Risiko, dass wir im derzeitigen Ist-Zustand weiterarbeiten müssen und die ehrenamtliche Betreuung der „grünen Seite“ endlich ist. Das kann im schlimmsten Fall zum Erliegen des digitalen Spielsystems führen. Hinzu kommt, dass wir nicht „auf Knopfdruck“ die Arbeiten mit dem gleichen Projektteam zu den gleichen Konditionen fortführen können, wenn der DHB wieder in der Lage wäre, die Finanzierung der Phase III zu ermöglichen. Das ist ein Szenario, das wir auf jeden Fall verhindern sollten. Vor allem für die Vereine hätte es wohl drastische Auswirkungen. In Bezug auf die Beitragserhöhung sprechen wir von Maßnahmen, die einen Schaden für den DHB haben werden und von Personalentscheidungen bis hin zum nicht geförderten Leistungssport reichen.
Wir ersetzen ein Auto der Marke „Eigenbau“ durch ein Auto nach Industriestandard inklusive Wartungsservice
Niclas Thiel
Unabhängig vom zweifellos dominierenden Digital-Projekt geht es auch eine Qualifizierungs-Offensive im Bereich Bildung. Was ist dabei eigentlich der Geld kostende Faktor?
THIEL: Im Wesentlichen ist es die Ausweitung und Professionalisierung des Angebots und damit einhergehend auch Personalkosten. Ebenso sind es aber die neuen digitalen Lehrinhalte, wie zum Beispiel E-Learning-Tools, welche entwickelt werden mussten.
Präsident Fastrich hat am Ende der Videokonferenz um Vertrauen und Solidarität beim eingeschlagenen Weg gebeten, gleichzeitig auch eingestanden, dass „in der Vergangenheit nicht immer alles rund gelaufen“ sei. Muss die aktuelle DHB-Führung eigentlich ausbaden, was Vorgänger-Präsidien eingebrockt haben?
THIEL: Die Vergangenheit möchte ich nicht beurteilen, da ich selbst erst seit etwas über einem Jahr im Verband als kaufmännischer Geschäftsführer tätig bin. Fakt ist, dass ein Großteil des Weges gegangen wurde und wir nun gemeinsam schauen müssen, dieses für uns alle wichtige Projekt in diesem Jahr abzuschließen.
Was ist denn am Samstag in Frankfurt beim Ablauf geplant?
THIEL: Wir werden zunächst mal mit dem gleichen Setup antreten wie am 18. Januar bei der Infoveranstaltung, die ja zur Entscheidungsfindung dienen sollte. Also werden Christian Richter und Stephan Haumann auch beim Bundestag noch einmal ihre Bereiche vorstellen, ehe wir in die Diskussion über die Anträge einsteigen und schließlich dann abstimmen werden.
Vielen Dank für das Gespräch!