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„Lerneffekte vor Coachingeffekten!“

14. July 2019

NextCoach: HONAMAS-Co-Trainer Eric Verboom gibt Einblick in seine Trainingsstrategie

14.07.2019 - In der zweiten Folge der NextCoach-Interviews gibt Eric Verboom, der niederländische Co-Trainer der HONAMAS, interessante Einblicke in seine Trainingsphilosophie und -strategien. Der 49-Jährige war, bevor er 2017 Stefan Kermas als Assistenztrainer für die DHB-Herren zusagte, unter anderem lange Co-Trainer der niederländischen Herren und der U21 seines Heimatlandes. Seit 2014 trainiert er als Vereinscoach beim HC Den Bosch, feierte zuvor aber auch schon als Trainer der KHC Dragons (Belgien) Erfolge in der EHL.

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Fünf schnelle Fragen, um zu starten!

Fussball-Europameisterschaft - Deutschland oder Holland?
Eric Verboom: Holland
Berge oder Flachland?
Verboom: Berge
Kreisstürmer oder kreativer Mittelfeldspieler?
Verboom: Kreativer Mittelfeldspieler
Schön spielen oder eklig gewinnen?
Verboom: Gewinnen!
Chaos oder Ordnung?
Verboom: Chaos

Sehr gut, danke für den kurzen Einblick in deine Deutsch-Holländische Gefühlswelt!

Die letzte der fünf Fragen bringt uns zum Thema des heutigen Interviews. Du sorgst regelmäßig im Training der HONAMAS mit Deinen Übungen für Unordnung und Chaos. Warum ist es dir so wichtig, dass in jedem Training Chaos und Unordnung ihren Platz finden?
Verboom: Hauptsächlich, weil ein Hockeyspiel davon geprägt wird. Es gibt nie zwemal die gleiche Situation, jedes Spiel ist anders. Du bekommst im Spiel einen Ball, aber kennst die daraus entstehende Situation noch nicht und musst in der Situation reagieren. Dann richtig zu reagieren, macht einen guten Spieler aus - wenn er den Ball besitzt, aber auch wenn er ihn nicht besitzt. Wenn wir eine Übung machen, in der es von Anfang an klar ist, dass es ein „3 gegen 2“ sein wird, dann kennen die drei Angreifer und die zwei Verteidiger die Ausgangslage schon. Ihnen ist von Anfang an bewusst, wie sie diese Situation lösen wollen. Wenn man für Chaos sorgt in der Übung, dann müssen sie die Situation erstmal selbst erkennen und die beste Lösung dazu finden. Damit lernen sie immer wieder in neuen Situationen, die beste Lösung zu finden. Meine Aufgabe als Trainer ist es, immer wieder neue Situationen zu kreieren mit mehr Chaos, unterschiedlichen Spielrichtungen, mehr Bällen, kleineren Spielflächen oder unterschiedlicher Anzahl von Spielern.

Ist das etwas „Holland“-Typisches oder „Eric Verboom“-Typisches? Woher kommt diese Trainingsphilosophie?
Verboom: Es nicht typisch Holländisch und auch nicht nur „Eric“-typisch - das wäre nicht fair es als meine Idee zu verkaufen. Ich habe an der Universität in Amsterdam einen Kurs zum Thema „Motorisches Lernen“ belegt. Es ging hauptsächlich um verschiedene Lerntheorien. Gleichzeitig habe ich meine eigenen Kinder trainiert. An denen habe ich diese verschiedenen Theorien ausprobiert. Diese Kombination hat mir gezeigt, wie ich am besten Lerneffekte erzeugen kann. Ich habe versucht, Übungen so zu gestalten, dass sie den höchsten Lerneffekt erzeugen. Nicht nur ein klassischer Trainingseffekt, dass die Übung rund läuft und klappt, sondern dass dies eben auch zu einem langfristigen „Lerneffekt“ führt.
Nach den Testläufen im Kindertraining, habe ich es mehr und mehr bei meinen Herrenmannschaften implementiert und war immer wieder erfolgreich damit. Also warum damit aufhören? Ich habe gesehen, wie die Herrenspieler dazu gelernt haben und sich immer weiterentwickelt haben.

Welche Theorien waren das? Ohne den kompletten Kurs zu wiederholen - was hat Dich dazu bewogen, das Training so zu gestalten, wie Du es heute machst?
Verboom: Es ist sehr lange her ... es zu benennen ist schwierig, obwohl ich die Inhalte jeden Tag nutze. Eine Theorie war, dass es wichtig ist, dass in jeder Übung Entscheidungen unter Zeit und Gegnerdruck getroffen werden. Eine weitere war, so oft wie möglich mit Metaphern zu arbeiten - vor allem wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet. Zum Beispiel beim Rückhandschlag-Griff kann ich ihnen genau Anweisungen geben, wie sie welche Hand wo hinlegen müssen etc. - oder ich kann ihnen sagen, dass sie den Schläger wie eine Pfanne halten sollen. So bestimmt man weniger, wie sie etwas machen sollen, sondern man gibt ihnen ein bildliches Ziel.
Der nächste wichtige Faktor war für mich, den Spielern beim Lernen einen externen Fokus zu geben. Das bedeutet zum Beispiel, wenn ich Schlagen schulen will, dann kann ich wiederum erklären, wie man es machen muss und dem Spieler Anweisungen zur Schlägerhaltung geben. Dann konzentriert sich der Spieler aber nur auf sich selbst – intern – und nicht auf das daraus entstehende Ergebnis. Gebe ich dem Spieler aber einen externen Faktor, auf den er sich konzentrieren muss, gibt es dem Bewegungsablauf eine andere Bedeutung. Er muss nicht mehr „richtig“ ausgeführt werden, sondern erfolgreich. Das erzeugt einen anderen Lerneffekt. Beim Dart ist es genau so: Ein Dartspieler fokussiert sich auf die Zielscheibe und nicht auf seine Hand und was sie macht.
Eine weitere Theorie war, dass man beim Erlernen neuer Techniken, Kindern möglichst fehlerfreies Lernen ermöglichen soll. Ein Beispiel dazu aus dem Golf: Ein Spieler der aus einem Meter Distanz putten lernt und diesen Ablauf immer wiederholt, hat ein hohes Maß an Erfolg. Er denkt also nicht über seinen Bewegungsablauf nach, sondern führt es implizit durch. Starte ich damit aus sieben Metern Distanz wird der Erfolg beim Anfänger schon unwahrscheinlicher. Man fängt an, über den Bewegungsablauf nachzudenken und befasst sich gar nicht mehr mit dem Hauptziel: Erfolgreich den Ball ins Loch zu befördern.
Die Theorie des Differentiellen Lernens war ein sehr wichtiger Input für mich. Diese Theorie kommt vom deutschen Professor Dr. Schöllhorn von der Uni Mainz. Das hat mich sehr geprägt in meiner Gestaltung des Techniktrainings. Ich versuche immer, „Doppelaufgaben“ zu verteilen. Als Beispiel: Man passt sich einen Ball zu und nach dem Pass muss ich einen zweiten Ball fangen und zurückwerfen.

Es ist beeindruckend, wie Du aus diesen Theorien eine Trainingsphilosophie gestaltet hast. Ich glaube, sehr viele Trainer haben von diesen Theorien gehört, es mal in der Uni oder Schule gelernt, aber es bildet nicht ihre Grundlage des Trainings. Es bildet eine gute Abwechslung, aber nicht die Grundlage des Trainings. Man merkt, dass Dir Kreativität und Abwechslung sehr wichtig sind. War das schon immer so? Bist du schon immer ein kreativer Mensch gewesen?
Verboom: Ja, doch, Kreativität war mir schon immer wichtig. Ich habe als Kind sehr viele unterschiedliche Sportarten gemacht. Ich habe die Abwechslung gebraucht. Als Trainer wollte ich immer wieder unterschiedliche Spielformen entwickeln. Ich habe für mich unterschieden: Ist eine Übung schön anzuschauen und läuft flüssig oder lernt man aus dieser Übung tatsächlich etwas?

Wie wurde Dir Kreativität beigebracht? War es ein Talent, was Dir in die Wiege gelegt wurde?
Verboom: Die vielen Sportarten – Motocross, BMX, Fußball und Tennis – die ich ausgeübt habe, haben wahrscheinlich einen sehr großen Teil dazu beigetragen.

Warst du auch ein kreativer Hockeyspieler?
Verboom: Ja - auf einem normalen Hoofdklaase-Niveau - leider nicht auf internationalem Niveau.

Auf welcher Position hast du gespielt?
Verboom: Auf allen! Vor allem aber im Mittelfeld. Als die Abseitsregelung aufgehoben wurde, wurde ich häufiger im Sturm eingesetzt - da ich viel Hallenhockey gespielt hatte, konnte ich mich besser freilaufen. Später, als ich Spielertrainer in Italien war, bin ich in die Innenverteidigung gerutscht.

Eine provokative Behauptung: Es gibt sehr viele Trainer, wenn es um Ergebnisse am Wochenende geht, die lieber eine taktische Übung „nachstellen“ würden als eine kreative Übung aufstellen würden, bei der man auf einen Lerneffekt „hofft“. Wie schaffst du es, eine Balance zwischen Lern- und Ergebniszielen hinzubekommen?
Verboom: Die Herausforderung darin liegt, dass man Spielformen so aufbaut, dass die Spielsituation, die man trainieren möchte, möglichst oft vorkommt. Ein Beispiel: Du willst Freischläge am Kreis trainieren. Dann kannst du entweder die Bälle hinlegen und die Spieler entsprechend aufstellen, wie du es haben möchtest, und du gibst klare Anweisungen, wie und wo welche Varianten gespielt werden sollen. Dann trainierst du zwar einen Bewegungsablauf, aber nicht eine Situation, wie du sie im Spiel wiederfindest. Möchtest du es als Spielsituation trainieren, dann baust du eine Spielform auf dem halben Spielfeld auf und spielst ein „Acht gegen Acht“ oder ein „Sieben gegen Sieben“. Da die beiden Schusskreise sehr nahe beieinanderliegen, hat man andauernd Freischläge am Kreis. Dann trainierst du die Situation, die du trainieren möchtest, zwar auch oft, aber wie im Spiel immer unter anderen Voraussetzungen.

Wie ist es bei taktischen Themen? Wie schaffst du es da, kreativ zu bleiben? Zum Beispiel, wenn du ein neues System spielen willst?
Verboom: Auf die genau gleiche Art und Weise. Wenn du zum Beispiel eine Raumdeckung einführen willst, dann baust du ein Spielfeld entsprechend auf, dass es zulässt eine Raumdeckung bei „Acht gegen Acht“ zu spielen. Das Spielfeld ist dann etwas enger gesteckt, so dass es realistischer ist und eine Raumdeckung möglich ist.

Es gibt Spieler, die behaupten, sie spielen am besten, wenn sie nicht nachdenken müssen. Du behauptest, dass sehr wichtig ist, Spieler zum Nachdenken zu bringen. Du möchtest, dass Spieler immer wieder in neuen Situationen lernen, was ihre beste Lösung ist. Du zwingst sie immer nachzudenken! Wie findest du hier die Balance, falls sie überhaupt nötig ist?
Verboom: Mit meinen Übungen will ich eigentlich erzwingen, dass die Spieler nicht nachdenken müssen. Es soll für sie ein Automatismus werden, dass sie wissen, wonach sie suchen und entsprechend automatisch eine Lösung finden. Meiner Meinung nach, können wir einer Mannschaft in der Vorbereitung auf den nächsten Gegner sehr viele Informationen über „unsere Nicht-Ballbesitzphase“ geben: Spielen wir im Raum, am Mann, Halbfeld, Eins gegen Eins, und so weiter.
Im Ballbesitz kann ich meinen Spielern nur Prinzipien wiedergeben: Stick to stick, Frontposition, linker Fuss, etc.. Diese Prinzipien kann ich trainieren, besprechen oder an Hand von Videomaterial besprechen. Am Ende des Tages liegt es aber am Spieler, diese Prinzipien auf dem Spielfeld zu erkennen und für sich und die Mannschaft gewinnbringend einzusetzen.
Ich möchte, dass meine Spieler im Ballbesitz in einem „Gefühlszustand“ sind und nicht ständig am Nachdenken sind. Ist der Gegner im Ballbesitz, können sie durchaus in einem „Denkzustand“ sein. Dementsprechend ist meine Informationsverteilung 20 zu 80 in einer Spielvorbesprechung.

Du bist seit zwei Jahren bei den HONAMAS. Was hat Dich überrascht? Was hattest Du Dir als Holländer anders vorgestellt?
Verboom: Sehr vieles! Positiv: Ich werde nie meinen ersten Lehrgang in Moers vergessen. Wir hatten eine Besprechung, die sehr fokussiert und konstruktiv war. Danach folgte eine Taktik-Besprechung über mögliche Raumdeckungen, die wir am nächsten Tag spielen wollten. Die Besprechung war zu Ende und sofort gingen die Spieler an ihre Uni-Sachen und fingen an zu lernen - in einem Lehrgang. Das habe ich in Holland nie erlebt. Alles höchst fokussiert und strukturiert. Daraus ziehen die Jungs sehr viel für ihr Spiel. Es gibt sehr viele kleine Besprechungen neben dem Platz unter den Spielern, die qualitativ sehr hochwertig sind. Wahrscheinlich ist es aber genau auch das, was uns am Ende des Tages auch hemmt. Dadurch sind die Jungs nicht so „frei“ auf dem Spielfeld und haben immer „sehr viel im Kopf“.

Gibt es für Dich einen klassischen deutschen Spielertypen?
Verboom: Ja klar. Deutsche Spieler nehmen den Ball immer geschlossen an. Holländer nehmen den Ball offen an. Der deutsche Spieler geht erstmal kein Risiko ein, der holländische Spieler geht erstmal volles Risiko. Der deutsche Aufbau ist immer strukturiert, sehr schwierig unter Druck zu setzen. Der holländische Aufbau ist sehr kreativ, oft etwas zu kreativ. Die „unforced Errors“ unterlaufen den Deutschen eher „vorne“, den Holländern eher „hinten“.

Hat dich etwas an dem „deutschen Spieler“ überrascht?
Verboom: Ich dachte, dass sie im Training noch disziplinierter wären. Wir Holländer haben den Eindruck: Ein deutscher Spieler kann problemlos zweieinhalb Stunden trainieren und hat kein Problem damit, wenn er sich 15 Minuten lang Bälle zu schrubben muss, weil der Schrubber besser werden soll. Das ist nicht so! Das denkt aber jeder Holländer von den Deutschen: höchst diszipliniert und der Coach gibt klar vor, was gemacht wird, und dann wird es so ausgeführt.
Das ist definitiv nicht so! Das ist wahrscheinlich auch eine Generationsfrage - das ist in Holland auch so. Du kannst nicht länger als fünf Minuten eine Übung „von Hütchen zu Hütchen“ vorgeben, bis alle gelangweilt sind und etwas Neues machen wollen.

Was glaubst du, müssen die HONAMAS in den nächsten ein, zwei Jahren machen, damit sie in Tokio oder Paris Olympia Gold holen?
Verboom: Wir müssten viel mehr zusammen trainieren, auf höchstem Niveau. Bei einem Lehrgang kommen viele Spieler mit einem guten Ausgangsniveau an. Packst du diese zusammen, entsteht automatisch ein viel höheres Niveau. Damit sind viele zu Beginn überfordert - was gut ist! Die Adaptation braucht aber seine Zeit. Kann man häufiger zusammen trainieren, dann beschleunigt man diesen Prozess natürlich und das Niveau steigt automatisch.
Mir ist bewusst, dass es in Deutschland auf Grund der Distanzen schwierig ist häufiger zusammenzukommen. Aber wir müssen eine gemeinsame Lösung finden, um die Zeiten zwischen den Lehrgängen zu überbrücken und diesen Adaptationsprozess zu beschleunigen.

Kritisch nachgefragt: Deutschland braucht also ein zentralisiertes Programm? oder gibt es auch einen anderen Weg?
Verboom: Ich finde zum Beispiel die Holländische Lösung auch nicht ideal. Die Spieler sind jede Woche von Montag bis Mittwoch weg von ihrem Verein, was Nachteile auf einer anderen Ebene mit sich bringt. Meiner Meinung nach sind Lehrgänge die idealste Form. Aber zwischen den Lehrgängen braucht es ein bis zwei Einheiten, in denen Nationalspieler auf dem allerhöchsten Niveau zusammen das trainieren können, was sie auf dem internationalen Niveau brauchen. Ich habe international bei den HONAMAS eine andere Rolle und Aufgabe als in meinem Verein - ich muss also mein Spiel umstellen, anpassen oder brauche sogar andere Techniken und Entscheidungsmuster als in meinem Verein.

Abschlussfrage: Ich bin ein B-Knabe oder B-Mädchen oder dessen Trainer, und lese dieses Interview. Was ist dein Tipp für mich? Was müssen die machen, damit sie in zehn Jahren an Olympischen Spielen teilnehmen kann?
Verboom: Möglichst viele motorische Erfahrungen sammeln und das in möglichst vielen Sportarten! Spielst du in jungen Jahren verschiedene Sportarten, dann wirst du von diesen motorischen Erfahrungen zu einem späteren Zeitpunkt profitieren. Es hilft dir, später Neues zu lernen! Es hilft dir, immer in dem, was du tust, der Beste sein zu wollen, weil du immer dazulernen musst. Du entwickelst dadurch ein „Growing Mindset“.

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